Kapitel 65: Tausend Tage später – herzlich willkommen, Neuanfang!

 

Ich bin Mitte fünfzig, für nicht wenige in meinem Umfeld genau das Alter, sich in einen sicheren Hafen zu begeben oder besser noch, falls vorhanden, gleich dort zu bleiben. Ich jedoch kehre diesem Hafen den Rücken zu und steuere stattdessen mit meinem Boot in Richtung offenes Meer: Nach über fünfundzwanzig Jahren Betriebszugehörigkeit verlasse ich meinen Angestellten-Job.

 

Nicht etwa, um mich in die nächste Festanstellung zu begeben. Ganz im Gegenteil. Alles ist offen. Wohl deshalb klingt das Wort „Boot“ in den Sätzen meiner Gesprächspartner, mit denen ich über dieses Thema rede, eher nach Nussschale als nach hochseetauglichem Schiff. Was ist nur in mich gefahren?

 

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© Tony Cordaro

 

Bin ich von allen guten Geistern verlassen? Größenwahnsinnig? Bockig? Schmeiße ich alles hin, weil so das Ende der Geschichte meiner Auszeit einfach cooler klingt? Ich gebe zu, diese Aussicht ist durchaus verlockend. Als Autorin mag ich gut erzählte Stories. So, wie die Geschichte vom Beginn meiner Auszeit, denn diese Idee kam mit einer solchen Kraft in mein Leben, dass ich es nur mit einem Bild beschreiben kann: Wie auf Schienen bahnte sie sich ihren Weg, mal mit verhaltenem Tempo, dann wieder mit Hochgeschwindigkeit, dass es mir im Magen kribbelte. Und ich wusste, es kam nur Machen infrage.

 

Seit dieser Zeit in Portugal habe ich mich immer wieder gefragt, ob sich daraus im Anschluss nicht eine spürbare Veränderung in meinem Leben hätte ergeben müssen. Und das meinte schon damals nichts Geringeres, als mich aus meinem sicheren Angestellten-Job zu lösen. Im Stillen war ich enttäuscht, dass mir meine wunderbare Auszeit dieses Geschenk nicht gemacht hatte. Ich war der felsenfesten Überzeugung, dass dieses Sich-lösen spätestens ein paar Wochen nach meiner Rückkehr hätte passieren müssen. Es passierte nicht. Ich nahm wieder an meinem Schreibtisch Platz. Das Leben ging weiter, in den gewohnten Bahnen.

 

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© Joe

 

Erst jetzt, drei Jahre nach meiner Auszeit, begreife ich, dass diese leise Sehnsucht in mir nie aufgehört hat zu senden. Dass schon mit dem ersten Gedanken an die Auszeit ein Weg begonnen hat, der weitergeht und der noch lange nicht zu Ende ist. Ein Weg, der mir immer wieder Impulse schickt, um mir klar darüber zu werden, was mir wichtig ist im Leben, was zu mir gehört und was ich loslassen will, vielleicht auch muss. Ich bin geduldiger geworden für diesen Prozess. Ich war mir sicher, dass ich spüren würde, wenn die Zeit für etwas reif wäre. Und ich war gleichzeitig überzeugt, dass etwas Neues da sein musste, bevor ich den Sprung aus meinem Job wagen würde. Und dann? Überrascht mich das Leben – wieder einmal: In erstaunlich kurzer Zeit ruckeln sich die Dinge einmal komplett durch und plötzlich ist er da, der Impuls loslassen und springen zu wollen, ganz ohne festen Plan!

 

Und das hat zwei Gründe: Zum einen ahne ich mehr, als dass ich es mit Sicherheit sagen kann: Der Wind hat sich gedreht, um in der Sprache der Seefahrt zu bleiben. Im alten, sicheren Hafen meiner Festanstellung stehen die Zeichen auf Veränderung, und es ist womöglich nicht mehr das Hafenbecken, in dem ich einfach so in Ruhe alt werden kann. Zum anderen, und das ist die noch stärkere Motivation: Ich will nicht in Ruhe alt werden. Ich will meine Zeit nicht absitzen, auch wenn die Vorstellung, es im Job warm und trocken zu haben, durchaus verlockend klingt. Aber werde ich mir am Ende meiner Tage nicht jämmerlich in den Hintern beißen, weil ich dem offenen Meer vor meiner Nase den Rücken zugekehrt habe? Bin ich wirklich hier, um es „nur“ warm und trocken zu haben? 

 

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Kann und will ich mit Mitte fünfzig auf Lebendigkeit und einen neuen Versuch verzichten, weil ich viel verlieren könnte? Ich muss es ausprobieren. Ich muss wissen, was möglich ist. Losgehen und mit den Schritten, die ich mache, sehen was kommt. Ich lasse ein hohes Maß an Sicherheit zurück. Und weiß gleichzeitig, ich kann nichts Neues in die Hände kriegen, wenn ich am Alten immer noch klammere. Vielleicht belohnt mich das Leben für diese Entscheidung. Sicher ist das nicht.

 

Und doch wiederholt sich spannenderweise etwas, dass ich auch aus meiner Auszeit kenne: Ich habe keine Angst. Ich muss eben nicht all meinen Mut zusammennehmen, um diesen Schritt zu wagen. Er scheint dran, die Zeit dafür reif. Nicht überreif, sondern einfach reif. Jetzt nicht loszugehen, würde vermutlich etwas in mir zum Überhitzen bringen, als könnte sich die Energie in mir keinen anderen Weg zum Austoben suchen, außer loszugehen. 

 

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Malend komme ich mir auf die Spur

 

Anfangs habe ich nur wenigen Menschen in meinem Umfeld von meinem Plan erzählt. Ein bisschen wie damals, als die Idee meiner Auszeit auf den Weg kam. Zuviel darüber zu reden, kann die Energie des Neubeginns schnell kaputt machen. Ich hätte womöglich auch dieses Mal zu viele Argumente gebraucht, um mich gegen eventuelle Bedenken oder gutgemeinte Ratschläge zu wappnen. Ich jedoch will mich zuerst mal offen und weit machen, um die Möglichkeiten zu entdecken, bevor mir der Blick auf mögliche Probleme die Sicht versperrt.

 

Wird es mir schwerfallen, in nächster Zeit keine gewohnten Abläufe mehr zu haben? Ohne festen Tagesablauf zu sein? Versacke ich auf dem Sofa und kriege im wahrsten Sinne des Wortes den Hintern nicht mehr hoch? Was bleibt, wenn ich plötzlich alle Zeit zum Schreiben habe? Und was kommt, wenn ich noch gar nicht weiß, womit ich mein Geld verdienen kann?

 

Ich weiß es nicht. In heutigen Zeiten klingt das verrückt. Vielleicht klang es schon immer verrückt. Und dennoch: Ich habe keine Angst, nur Vertrauen in diese Zeit und in mich und dass sich die Dinge zur besten Zeit finden. Mit dem Verstand kann ich es nicht erklären, nur mit dem Herzen fühlen. Es ist eines der Geschenke der Auszeit: Ich habe ein anderes Vertrauen ins Leben. Nicht, dass es keine Probleme mehr gibt. Aber dass es das Leben prinzipiell gut mit mir meint. Dass es immer irgendwie weitergeht, manchmal anders, oft besser als gedacht. Dass es sich in jeder Hinsicht lohnt, mehr von den Dingen zu tun, die mir guttun. Dass die Dinge ihre Zeit haben und eben auch brauchen, bevor sie auf den Weg kommen können. Dass man Situationen oder Entscheidungen nicht erzwingen kann, nur weil einem die Ungeduld im Nacken sitzt. Und dass andererseits die Dinge so erstaunlich einfach und kristallklar auf den Weg kommen, wenn die Zeit wirklich reif dafür ist. So wie jetzt. 

 

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© Helmut Jungclaus

 

Ich erinnere mich an diesen Traum, den ich vor drei Jahren während meiner Auszeit hatte. Ich war gerade in Porto, im Norden des Landes, angekommen.

 

In diesem Traum stehe ich an der Reling eines Schiffes. Es ist unglaublich hoch. Weit unten auf dem Wasser schaukeln Rettungsboote. Ich drehe mich kurz um, um nach denen zu sehen, die hinter mir stehen, dann schaue ich wieder in Richtung Wasser, klettere über die Reling und springe. Ich spüre, wie der Wind meine Arme, mein Gesicht streift, bin überrascht, wie lang der Flug dauert. Schaue auf die Wasseroberfläche und erkenne bereits, ich werde nicht wie gedacht im Rettungsboot landen, sondern direkt im Wasser.

 

Nur einen Moment später tauche ich ein. Und dann ist da nur noch ein Gedanke: Wie schön, wie wunderbar, wie befreiend. Als ich wieder auftauche, blicke ich hinauf. Ich spüre das Strahlen in meinen Augen. In den Blicken der anderen, die noch immer oben an der Reling stehen, sehe ich das Staunen und höre das aufgeregte Raunen ihrer Stimmen.

 

Ich hätte damals alles Mögliche in diesen Traum hineindeuten können. Doch ich ließ es bleiben. Er fühlte sich unkommentiert und unbelastet von meinen Erwartungen am schönsten an. Doch er blieb nachhaltig in meinem Kopf.

 

Und nun, drei Jahre später, springe ich tatsächlich. 

 

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Einfach mal fließen lassen: Malen und Schreiben intuitiv verbinden

 

Ich weiß noch, dass ich vor einigen Wochen darüber nachgedacht habe, dass dieser Blog bald sein Ende finden soll. Als wäre auch dafür die Zeit gekommen. Ich musste an den Beginn des Blogs denken, an die Magie und an die Leichtigkeit, die die Idee des Blogs erstaunlich mühelos auf den Weg brachte. Doch nun wusste ich nicht, wie er zu Ende geht, gehen soll. Mit einem „War schön“, einem „Kann man mal machen, ohne gleich die Welt aus den Angeln zu heben“? Jetzt sehe ich, wie auch hier das Leben die Weichen zur richtigen Zeit stellt. 

 

Und das meint nicht, dass das nach einer Auszeit so sein muss. Aber eben kann. Und die Gefahr besteht, sofern man es überhaupt so nennen will, dass eine Zeit nur mit dir selbst deine Welt aus den Angeln heben kann. Dass sie Veränderungen anschiebt, die du nach deiner Auszeit vielleicht nicht sofort erkennst, die jedoch wie Samenkörner unter der Erdoberfläche still beginnen zu wachsen, bis sie den Durchbruch wagen. Und dann bleibt dir plötzlich nichts mehr, als dieses junge Pflänzchen zu gießen, ganz einfach, weil du es nicht sehenden Auges sterben lassen willst.

 

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Mit dem heutigen Kapitel endet mein Blog. Mit meinem Sprung in ein neues Leben. Vielleicht wird es der Weg in die Selbstständigkeit. Vielleicht wird es eine Mischung aus Anstellung und Freiberuflichkeit. Alles ist offen. Ich traue mich, mir diese Zeit zu nehmen, um zu spüren, woher die Freude kommt. Dieses Wort, das doch schon so lange zu meinem Wortschatz gehört, hat mir in der Auszeit noch einmal seine wahre Tiefe offenbart. Seitdem ist Freude zu meinem wahrhaftigen Kompass geworden. Ich glaube fest daran, dass sie ein guter Wegweiser über die Meere ist. Vielleicht sogar der beste, den man sich vorstellen kann. Wo sie mich hinführen wird? Mal sehen. Ich glaube an ein Happy End, weil sich schon der Weg so gut anfühlt.

 

Vielleicht melde ich mich hier einmal wieder. Die Zeit wird es zeigen. Also keine Eile, wir bleiben einfach in Verbindung, ja?!

 

Danke für eure Treue, es war mir eine Freude! Ich gehe jetzt mein Pflänzchen gießen.

 

Alles Liebe für euch und euren Weg

eure Brit

 

 

P.S. Ich sage an dieser Stelle auch von Herzen DANKE an dich, liebe Ute, als meine Lektorin! Danke für deine unglaubliche Unterstützung in all den Monaten, danke für dein gewissenhaftes Auge, danke für den liebevollen Goldstaub, den du über meine Texte gesprüht hast. Es war unser erstes gemeinsames Projekt - und ich hoffe sehr, es war nicht unser letztes!

Aber erst einmal sehen wir uns beim Portugiesen zum ausgedehnten kulinarisch-feucht-fröhlichen Abend - ich freu mich!

 

 

 

 

22 Monate, 65 Kapitel und fast 500 Fotos 

 

 

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Auszeit vom Job - ja, nein, vielleicht?

 

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