Die Schwärme kleiner Fische stieben auseinander, als wären sie auf der Flucht vor der hemmungslosen Deutschen, die sich bereitwillig in die Fluten stürzen will. Es ist neun Uhr morgens. Die hemmungslose Deutsche bin ich. Ich habe vor wenigen Minuten einen Entschluss gefasst:
Ich will nicht über Wochen im wunderschönen Luz sein, direkt am Meer, um Tag für Tag nur davor zu stehen und aufs Wasser zu starren. Sich einlassen auf die Auszeit heißt auch, sich einlassen aufs Meer. Ab in die Fluten. Die eisigen, wie ich weiß. Denn der Atlantik wird an der Algarve auch im Hochsommer kaum wärmer als zwanzig Grad. Und wir schreiben gerade einmal Anfang Juni. Ich schätze, mehr als achtzehn Grad sind nicht zu erwarten.
Heute ist das Meer ruhig, fast spiegelglatt. Es zwingt mich zu nichts. Mit seiner Ruhe scheint es mir vielmehr zu sagen: Diese Entscheidung nehme ich dir nicht ab. Das musst du schon selbst wissen. Ja, das sehe ich auch so. Auf meinem Handtuch sitzend, die unendliche tiefblaue Weite vor mir und die erstaunliche Hitze des frühen Morgens auf meinem Körper, habe ich die Entscheidung getroffen. Ich werde da reingehen. Nicht nachdenken, nicht fühlen, kein Gewese. Einfach rein.
Wie hilfreich das bei der Umsetzung ist, merke ich schon auf den ersten Metern im Wasser. Ich könnte es mit einem wunderbaren Bild umschreiben, aber kurz gesagt: Es ist arschkalt. Und ich bin erst bis zu den Knien drin. Frage mich aber, ob ich eigentlich noch Gefühl in den Füßen habe? Die Rückmeldung ist vage.
Ich mache einen weiteren Schritt. Das ist der Moment mit dem Auftritt der bereits erwähnten Fische. Sie wollen nicht sehen, wie das mit mir und dem Meer weitergeht und suchen stattdessen das Weite. Ich hingegen will meine Entschlussfreudigkeit nicht unnötig gefährden und werfe mich ins Wasser. Oh Gott, ist das kalt. Wie viele Todesfälle es wohl jährlich gibt aufgrund von plötzlichem Herzstillstand beim Badengehen? Wenn ich Herz wäre, würde ich nämlich auch erst einmal einen Moment aussetzen. Solange, bis ich wieder bei Puste wäre. Mein Herz schlägt weiter, wie ich erleichtert feststelle. Also nehme ich zur Unterstützung einen tiefen Atemzug, um meine Körperfunktionen auch weiterhin aufrecht zu erhalten.
Meerblicke meiner Auszeit
Ich mache ein paar Züge. Es schwimmen zu nennen wäre anmaßend, denn dazu ist es viel zu schnell wieder vorbei. Es ist und bleibt eisig. Aber: Ich hab's getan! Ich habe nicht erwartet, dass ich es lieben werde. Und auch nicht versprochen, länger drin zu bleiben. Ich tauche wieder auf und trete den Rückweg an. Ab jetzt wird es Schritt für Schritt wärmer, wie ich erfreut feststelle.
Im flachen Wasser steht das ältere Pärchen, das ich schon beim Reinlaufen dort stehen sah. Sie macht einen unentschlossenen Schritt nach vorn. Er blickt kurz zu mir, dann wieder aufs Wasser. Auf seiner Stirn steht: Ich will auch cool sein. Wirklich. Aber es ist sooo kalt. Eine Welle schwappt an seiner Hose hoch, ich sehe, wie er fröstelnd zurückzuckt. Seine Entscheidung, denke ich. Das muss er ganz allein wissen. Man tut das hier nur für sich, nicht für den Beifall am Strand.
Als ich wieder auf meinem Handtuch liege, spüre ich das Prickeln auf der Haut und das Kribbeln von Innen. Ich bin überrascht über meinen nächsten Gedanken: Könnte sein, ich gehe da morgen wieder rein. Rein ins arschkalte Vergnügen. Muss ja nicht für länger sein.
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