Ganze Tage im Café

 

Grit Bloß

 

Längst sind Cafés Orte zum Kommen und Bleiben – für (fast) alles und jeden.

 

Wie selbstverständlich findet das Spiele-Brett seinen Platz zwischen Chai Latte, Milchkaffee und dem noch warmen Apfelkuchen. Mit glühenden Wangen sitzen die jungen Leute um die Zwanzig um den schmalen Holztisch; vollkommen vertieft in ihr Spiel. 

 

Ob Würfeln auf Holz, Plauschen auf Plüsch, Kurznachrichten vom Hocker oder Stillen im Sitzsack: Wo bis vor einigen Jahren maximal Bücher und Zeitungen auf Tischen und Tresen landeten, spielt sich heute das Leben in all seinen farbenfrohen Facetten ab. Und das nicht etwa heimlich, still und leise in der hintersten Ecke, sondern geräuschvoll mittendrin. Cafés sind für viele zu einer Art zweiten Heimat geworden. Statt Kaffee im Stehen oder gar to go, ist Bleiben in deutlich mehr als Spielfilmlänge gefragt.

 

Freies Denken und freies Wlan machen in Cafés so ziemlich alles möglich, was Spaß macht und im besten Falle niemanden stört: Gucken, Quatschen, Arbeiten, Lesen, Stricken, Spielen, Stillen. Wem es zu Hause zu leise oder im Büro zu laut ist, der findet hier alles, was er braucht: Sorgsame Augen fürs kulinarische Wohlergehen, heimelige Geräuschkulissen aus Geschirrklappern und Geplauder, tolerante Tischnachbarn, passende Hintergrundmusik und eine Prise Sehen und Gesehen werden. 

 

Selbst wenn so manches Café gar nicht mehr so plüschig und kuschelig daherkommt, dem Zulauf an arbeitenden wie spielenden Gästen scheint das keinen Abbruch zu tun. Ganz im Gegenteil: Mit Bücherstapeln, Laptop oder Wollknäuel unter dem Arm kulinarische Freudenhäuser aufzusuchen, boomt und fühlt sich mittlerweile wunderbar normal an.

 

Ein gewisses Fingerspitzengefühl bei der Auswahl des Cafés kann dennoch nicht schaden; nicht jeder Laden taugt für alles. Je kleiner das Café, umso mehr lohnt sich ein Blick aufs eigene Tun. Tische über Stunden zu blockieren, um bei einem schmalen Espresso den halben Tag auf seinen Laptop einzuhacken, gehören dabei ebenso abgewählt wie Spielenachmittage bei zwei Glas Wasser. Schließlich wollen alle gut leben. Das funktioniert aber nur, wenn auch der Gastronom nicht nur Ambiente, Heizung und sanitäre Anlagen stellen, sondern Kaffee und Co. auf die Tische zaubern darf.

 

Dass das nicht selten eine Gratwanderung ist, die mal mehr, mal weniger gelingt, zeigt sich ausgerechnet in Berlin-Neukölln, dem Vorzeige-Stadtteil, was Multikulti, Hippsein und das gelungene Zusammenleben verschiedener Lebensentwürfe angeht. Hier wehren sich entnervte Café-Besitzer mittlerweile mit „No Laptop“ an der Kneipentür gegen die Schnorrer aus Büroetagen und Studentenbuden.

 

Doch viele wollen gar nicht die „Geiz ist geil“ Mentalität ausleben, sondern genießen vielmehr das Arbeiten oder Spielen mit kulinarischer Rundum-Betreuung und angenehmem Kneipen-Grundrauschen. Und so manch stillende Mutter atmet wohl auch auf, beim etwas anderen Blick als dem auf die immer gleichen eigenen vier Wände.

 

Sind damit das auswärtige Fläzen und gepflegte Nichtstun dem Untergang geweiht? Wohl kaum: Wo sich das pralle Leben seinen eigenen Film schreibt, gibt es immer noch genügend Raum fürs einfache nur Sitzen und Gucken mit Kaffee und Kuchen in Armlänge. Irgendwann kommt sowieso der Moment, da es die Sitzer wie die Fleißbienen wieder von den Holzstühlen treibt – den einen früher, den anderen später. Kein Problem – morgen ist schließlich auch noch ein Tag.