Kapitel 33: Auf den Hund gekommen

 

Der Hund nähert sich mir, seine Bewegung ist eine zauberhafte Promenadenmischung aus zielstrebig und unschlüssig. Ich kenne ihn. Er fiel mir gestern schon auf, als er vor dem Haus langsam die Straße entlanglief, sein hellbraunes Fell zerzaust, das linke Ohr leicht abgeknickt. Womöglich der Preis der Freiheit.

 

Er ist nicht der Schönste, nicht der Gepflegteste, nicht der Wohlgenährte unter den Hunden hier, die es zuhauf gibt. Doch er strahlt eine innere Stärke aus, dass ich den Blick kaum von ihm lassen kann. Für ihn gibt es keine Zäune, Hecken, Mauern, geschweige denn Leinen, die den Radius seines Lebens minimieren könnten. Dafür verzichtet er auf fertiges Futter in der Schale, er nimmt, was das Leben ihm bietet. Es wird nicht immer ein Zuckerschlecken sein.

 

Ich begrüße ihn wie einen alten Freund. Es tut gut, jemanden zu treffen, den ich kenne, auch wenn es nur ein Hund ist. Freddy würde sein Freddy-Grinsen aufsetzen und in seinem herrlich holländischen Englisch zum Besten geben: „Ich sag's ja, man wird seltsam, wenn man allein ist.“

 

 

streunender Hund

 

Der Hund bleibt neben mir stehen, dreht sich einmal um sich selbst und legt sich neben mich in den Sand. Die Sympathie scheint auf Gegenseitigkeit zu beruhen. Ich frage ihn, wie es ihm ergangen ist. Er legt seine Schnauze auf seine Vorderpfote, schaut in Richtung Meer und sein stummer Blick scheint zu sagen: Frag nicht! Und ich antworte: „Kenne ich. Mach dir nichts draus, es kommen auch wieder bessere Tage.“

 

Eine Zeitlang sitzen wir still beieinander. Wir schauen aufs Meer – es hat für uns beide Platz. Ich genieße die Ruhe. Und obwohl der Hund sehr nah bei mir liegt, habe ich nicht das Gefühl, dass er mir auf die Pelle rückt. Er bettelt auch nicht um Essen. Er ruht irgendwie in sich. „Gib mir etwas von dir ab“, raune ich ihm zu. Er hebt den Kopf, dann steht er auf, schüttelt sich kurz und läuft davon. Okay Kumpel, Lektion verstanden: Jeder kümmert sich um sich selbst.  

 

Allein reisen ü50, der Weg ist das Ziel, einfach losgehen
Ein Foto, das aus Versehen entstanden und doch gerade so treffend ist ...

 

Ich bleibe sitzen. Schaue weiter aufs Meer, als könnte ich da alle Antworten finden. In mir wuseln so viele Gedanken, die sich nicht formulieren, nicht einmal fassen lassen. Und dann ist er plötzlich da, dieser Satz: Ich kann nicht scheitern. Ich kann nicht scheitern? Wieso nicht? Was macht mich da so sicher? Die Antwort kommt prompt: Weil ich den ersten und wichtigsten Schritt schon gemacht habe: Ich bin losgegangen, und jetzt bin ich hier. In diesem Land. Allein. Auch wenn ich nicht weiß, was mich erwartet.

 

Vielleicht gefällt mir unterwegs der Weg nicht. Vielleicht kehre ich um und nehme dann einen anderen. Vielleicht fahre ich früher zurück als gedacht. Vielleicht gewinne ich in all diesen Wochen keine Erkenntnisse. Oder welche, die mir nicht behagen. Vielleicht entsteht etwas, vielleicht auch nichts. Alles ist offen, alles ist möglich. Und das aus einem einzigen Grund: Ich bin losgegangen.

 

Portugal Praia de Faro, Meer, Strand
Meer ist nicht (immer) die Antwort, aber du vergisst dort jede Frage.

 

Für den Augenblick schließe ich die Augen, und ein Bild taucht vor mir auf: Um mich herum herrscht dichter Nebel. Ich kann nichts erkennen, ich will umdrehen, in der Hoffnung, dass es in dieser Richtung klarer ist. Doch der Nebel ist überall. Ich weiß nicht einmal mehr sicher, wo ich hergekommen bin. Langsam, ganz langsam wage ich einen Schritt. Dann noch einen. Zaghaft, um spüren zu können, wo es sich gut anfühlt.

 

Als ich die Augen wieder öffne, ahne ich den Weg, auf dem ich hier unterwegs sein werde: Ich weiß nicht, was in einem Tag, in einer Woche, in einem Monat sein wird. Aber darum geht es nicht. Es geht immer nur um den nächsten Schritt. Mehr muss ich für den Moment nicht wissen.

 

Danke, liebes Meer, für diese Antwort! Ganz ohne eine Frage gestellt zu haben.

 

Pastel de Nata, Portugal, Café com Leite
Nach dem Platz am Meer ein erstes Pastel de Nata und einen Café com Leite, wenn auch vorerst noch to go - oder wie es hier heißt "para levar"

 

 

 

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Dankeschön ;-)

Auszug aus dem 34. Kapitel

 

Freddy zieht es heute weiter nach Spanien, hin zu mehr familiärer Geselligkeit. Er will seinen Bruder in Granada besuchen, nach hundert Tagen Einsamkeit nun also hinein in die spanische Großfamilie.

 

Als die Haustür an diesem Morgen ächzend hinter ihm ins Schloss fällt, ist für den Moment vor allem Freude in mir: Ab jetzt habe ich die ganze Wohnung für mich. Kein morgendliches Türenwerfen mehr, keine schmutzigen Pfannen in der Spüle und keine Überschwemmungen im Bad. Auch wenn ich unsere Gespräche auf dem Balkon vermissen würde.

 

Ich räume ein paar von Freddys Hinterlassenschaften weg, dann laufe ich zum Strand. Ich freue mich schon jetzt aufs Heimkommen. Es würde sich zum ersten Mal anfühlen, als käme ich in meine eigenen vier Wände. Zum ersten Mal ein Gefühl von zu Hause. Abends koche ich ausgiebig, decke den Tisch in der Gemeinschaftsküche ohne Gemeinschaft und höre versonnen Musik. In drei Tagen reise auch ich weiter, jetzt aber will ich mir darüber keine Gedanken machen. Ich will einfach nur hier sitzen und lege entspannt die Füße auf den Tisch. Ist ja keiner da, der sich daran stören könnte.

 

Mitten in die laute Musik hinein höre ich ein Klopfen an der Küchentür und kurz darauf steht ein junger Mann samt Rucksack in der Tür. Überrascht nehme ich die Füße vom Tisch. Ich habe nicht einmal das Ächzen der Haustür gehört.

 

 ...

 

 

Ihr Lieben, 

ich verabschiede mich in die Weihnachtsferien und das heißt auch, mein Blog pausiert bis zum ersten Freitag im Januar.

Ich wünsche euch ein friedliches und freudvolles Weihnachtsfest, kommt gesund und liebevoll ins neue Jahr.

 

Lesen wir uns 2023?

Ich würde mich freuen!

 

Alles Liebe

eure Brit

 

 

 

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