Kapitel 35: Auf nach Fuseta!

 

Assis lacht viel. Seine Stimme ist laut. Je länger seine Sätze werden, umso lauter wird sie. Er hofft, dass ich ihn so besser verstehe. Immer wieder blickt er zu mir herüber, nickt, lacht. Allerdings habe ich kein Problem mit meinem Gehör, sondern mit meinem fehlenden portugiesischen Wortschatz.

 

Ich sitze in Assis kleinem Laster auf dem Weg zum Bahnhof in Faro. Assis ist Handwerker und eigentlich auf dem Weg von Praia de Faro nach Albufeira. Für mich macht er jedoch einen klitzekleinen Umweg. Noch immer kann ich nicht ganz glauben, dass er es ist, der mich heute rettet – immerhin besteht nun wieder eine sehr realistische Chance, meinen Zug nach Fuseta doch noch zu erwischen.

 

Zugfahren in Portugal Zugverbindung Bahnlinie Algarve
Bahnfahren an der Algarve leicht gemacht - der Fahrplan ist auch in Portugal das A und O!

 

Frühmorgens war ich aufgestanden, hatte einen letzten Streifzug durch mein Zuhause der ersten sieben Tage gemacht und mich ein letztes Mal für ein paar Minuten auf den Balkon gesetzt. Ich hatte ein letztes Mal diesen schönen Blick über die Lagune genossen und mich gedanklich verabschiedet von allem, was mir mein Ankommen hier leichter gemacht hatte. Noch einmal hatte ich an Freddy und unseren ersten Abend auf dem Balkon gedacht.

 

Ich hatte Aaron eine Tafel Schokolade auf den Küchentisch gelegt und ihm eine gute Reise gewünscht. Auch er würde in den kommenden Tagen weiterziehen. Dann hatte ich Rucksack, Jacke und Zimmerschlüssel genommen und war die steile Treppe hinabgestiegen, nicht, ohne mich an meinen ersten Aufstieg zu erinnern. Ich hatte die immer noch ächzende Haustür lautstark hinter mir zugezogen und den Schlüssel wieder in den Safe gleich links neben der Tür gelegt. Und nun stehe ich an der Haltestelle. Ich bin bereit für die Abreise. Doch was nicht kommt, ist der Bus. 

 

Portugal Brücke von Faro nach Praia de Faro Blick zur Insel
Zeit an der Bushaltestelle: Plakate sind auch eine Möglichkeit zum Sprache lernen ;-)

 

Ich schicke ein kleines Stoßgebet nach oben, vielleicht hört mich ja jemand? Ich habe keine Idee, wie ich von hier wegkommen soll. Taxis sind keine zu sehen. Uber, die Alternative zu den lokalen Taxis, hatte mir gestern Abend in der App angezeigt: „In ihrer Umgebung ist Uber derzeit nicht verfügbar.“ Kein Bus. Kein Taxi. Vielleicht bin ich außerhalb jeglicher Zone für irgendetwas. 

 

Als ich aufblicke, springt die Ampel an der kleinen Brücke zur Lagune gerade wieder auf Rot. Der Weg ist frei für die Autos, die von der Insel runter wollen. Wenig später fährt ein Transporter an mir vorbei, der Fahrer schaut aus dem offenen Fenster zu mir herüber, grinst breit, und ich kann nicht anders und grinse zurück. Wenigstens ein Lichtblick am Morgen. In diesem Moment weiß ich noch nicht, dass für meine Weiterreise längst alles eingefädelt ist. Ich habe keine Ahnung, dass Stoßgebete so schnell erhört werden können. Ich wende mich einfach wieder meinem Gepäck zu, und es ist mehr ein Impuls, der mich kurz darauf wieder in Richtung Straße schauen lässt. Und da sehe ich es: Der Laster steht mit laufendem Motor am Straßenrand. Der Fahrer schaut in meine Richtung, lacht wieder und winkt. Ich zeige die Straße nach Faro City, und er reckt den Daumen nach oben.

 

Mit dem Rucksack durch Portugal_Autorin Brit Gloss "Alleine los" Blog
Auf nach Fuseta!

 

Keine zwei Minuten später sitze ich auf seinem Beifahrersitz. Mit Worten und Gesten erkläre ich, dass ich zum Bahnhof will. Er lacht, und unter seinen unzähligen Sätzen und Silben verstehe ich so einigermaßen: Assis muss nach Albufeira, eigentlich genau die entgegengesetzte Richtung, bringt mich aber bis nach Faro, zumindest in die grobe Richtung Bahnhof. Er fragt, wo ich herkomme und sein Gesicht erstrahlt, als er „Deutschland“ hört. Und dann sagt er diesen einen Satz, der mir klarmacht, hier haben irgendwelche höheren Mächte ihre Finger im Spiel: Er war für ein Jahr in Deutschland, in Sachsen... und bevor ich zu Ende denken kann, ... in Dresden. Kurz überlege ich, ob er wissen kann, dass ich aus Dresden komme. Doch ich trage weder mein Stadtwappen am Rucksack noch ein T-Shirt mit der Aufschrift „I love Dresden“. Auf meinem schwarzen, kurzärmeligen Shirt steht Copenhagen. Ist das zu fassen?

 

Er erzählt, wie sehr ihm die Stadt gefällt, wie sehr er seine Kollegen vermisst, wohl besonders eine Kollegin, und sein Lachen verschwindet für einen Moment, seine Augen verdüstern sich. Ich kann es einfach nicht fassen: Ich bin tausende Kilometer von Zuhause entfernt, sitze morgens in diesem Lieferwagen, neben einem fremden Mann, und ein Hauch von Sehnsucht nach Heimat weht durch das Seitenfenster herein. Dann lacht Assis wieder, sagt, er habe Dresden immer noch im Herzen. Es klingt so kitschig, und ich glaube ihm doch jedes Wort. Er fragt nach meiner Nummer, meint, wir könnten an einem anderen Tag mal einen Kaffee zusammen trinken. Ich lache, tippe sie ihm in sein Handy und weiß, dass wir uns nicht wiedersehen werden. Unsere Begegnung ist geschaffen nur für diesen einen Moment. Assis hat mich meinem heutigen Ziel nähergebracht, ich habe ihn an eine wundervolle Zeit in Dresden erinnert. Das ist für uns zwei Geschenk genug.

 

Portugal Fuseta Bahnhof Zugfahren in Portugal
Sehnsuchtsort meiner heutigen Reise - der Bahnhof von Fuseta

 

An der Avenida, die ins Zentrum von Faro führt, und die ich schon von meiner Radtour kenne, steige ich aus. Weiter hinein in die Stadt kann Assis nicht fahren, dass gäbe Ärger mit seinem Chef. Er zeigt mir einen kleinen Chip – seine Route wird via GPS erfasst. Wieder lacht er, winkt noch einmal und ist wenig später mit seinem Laster im morgendlichen Verkehr verschwunden. Ich schaue kurz aufs Handy, es sind noch zirka eineinhalb Kilometer bis zum Bahnhof. Bis zur Abfahrt meines Zuges ist ausreichend Zeit, um zu Fuß zu gehen. Mein Rucksack ist zwar nicht gerade ein Leichtgewicht, für eine gewisse Zeit aber noch gut tragbar. Eine Alternative ist sowieso nicht in Sicht, auch wenn mir die nah gelegene Haltestelle vorgaukeln will, dass ich auch den Bus nehmen könnte. Einmal umsonst warten reicht mir für heute, und so laufe ich los.

 

Doch meine Reise ist auf „einfach“ programmiert, wenn auch stets anders als gedacht. Wen wundert’s also, dass sich genau jetzt eines der grün-schwarzen Taxis nähert. Ich hebe den Arm und gebe ihm ein Zeichen zum Halten. Nicht einmal fünf Minuten später entlässt es mich vor den Toren des Bahnhofs von Faro.

 

Portugal Faro Bahnhof Cafe com Leite Pasteis de nata
Dank Assis und einem Taxi habe ich am Bahnhof Faro sogar noch Zeit für einen Café com Leite

 

Vor sieben Tagen bin ich hier angekommen. Heute nun erwartet mich ein neues Ziel, ein nächster kleiner Meilenstein. „Das Ankommen ist ja auch immer ein wahnsinnig spannender und schöner Teil des Reisens“, hatte mir die Tochter meiner besten Freundin heute Morgen geschrieben. Sie wechselt gerade ebenso wie ich ihr Zuhause, allerdings heißt das bei ihr, von Italien nach Spanien umzuziehen, wo sie ihr freiwilliges soziales Jahr fortsetzt. Neues Land, neue Sprache. Beim Lesen ihrer Zeilen hatte ich gespürt, wie recht sie hat. 

 

Vor mir liegen nur knapp dreißig Kilometer auf dem Weg zum neuen Ziel – weiter in Richtung Ostküste der Algarve, nach Fuseta. Dasselbe Land, dieselbe Sprache. Und trotzdem: spannend anders.

 

 

Ostwärts entlang der Algarve: Fuseta - mein heutiges Ziel der Reise

 

 

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Auszug aus dem 36. Kapitel

 

Meine Haut ist trocken, rissig und schuppt sich. Als wäre es ihr zu eng geworden unter der portugiesischen Sonne. Als wäre es Zeit, die Schicht abzulegen, die ich aus dem deutschen Winter mit hierher in dieses sonnenverwöhnte Land gebracht habe. Unter der abgestorbenen Haut entdecke ich die neue, zart rosafarbene. Noch ganz empfindlich. Noch nicht bereit, sich der Kraft der Sonne, des Windes und der salzigen Meeresluft zu stellen. Also schütze ich sie unter einer dicken Schicht aus Creme, damit sie sich in Ruhe erneuern kann. Am liebsten würde ich mich mit darunter verkriechen, damit auch ich mich in Ruhe entwickeln kann.

 

Als wäre das Häuten nicht schon schmerzhaft genug, vollzieht sich auch in meinem Inneren ein Reifeprozess. Langsam, und ja, manchmal ebenso schmerzhaft. In meinem seelischen Ringen merke ich immer wieder: Ich bin nicht diejenige, die das Tempo bestimmt. 

 

 

Nächsten Freitag gibt es das komplette Kapitel!

 

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