Kapitel 63: Nach der Auszeit – und wie weiter?

 

Was für ein Eiertanz. Ich lese, ich gehe ins Kino. Ich treffe mich mit Freunden. Sehnsüchtig schnappe ich nach jeder Gelegenheit, die mir Ablenkung verspricht. Ist das Mobile meines Lebens mal einen Moment lang ruhig, gebe ich ihm selbst einen Schubs und freue mich, dass Augen, Ohren und Kopf wieder beschäftigt sind. Und wofür das Ganze? Um das Rufen meines Auszeit-Manuskripts nicht hören zu müssen.

 

Wie ein stiller Vorwurf liegen einhundert ausgedruckte Seiten, sorgsam auf einen Stapel gelegt, in meiner Stube. Doch ich hänge fest. Ich habe begonnen, die Kapitel des Manuskripts zu überarbeiten und weiß schon beim Korrekturlesen, dass es darum gar nicht geht. Ich komme nicht voran, weil ich keine Antwort habe auf die Frage „Wie geht es weiter nach meiner Auszeit?“ Doch wenn ich nicht weiß, wie meine Geschichte weitergeht, geschweige denn, wie sie ausgeht, wie soll ich dann an meinem Manuskript schreiben, oder es gar vollenden? 

 

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Da liegen sie - meine Morgenseiten und Manuskriptseiten. Und nun?

 

„Wie weiter?“ ist die Frage aller Fragen, um die es sich immer wieder gedreht hat. Die Suche nach Antworten begann keinesfalls erst mit meiner Rückkehr nach Deutschland. Sie begann genaugenommen schon, kaum dass ich portugiesischen Boden betreten hatte. Ich hatte es mir nicht eingestehen wollen, doch es ist, als hätte mit dem Start der Auszeit eine unsichtbare Uhr begonnen zu ticken: Du hast einhundert Tage, nutze sie!

 

Und ja, meine Pause vom Alltag war ein Pendeln zwischen zwei Seiten: Dem Sichtreibenlassen und Genießenwollen und dem Wunsch, aus dieser Zeit wirklich etwas zu machen. Diese Zeit zu nutzen, um mir klar zu werden, wie es weitergehen soll mit meinem Leben. Ob es gut ist, wie es ist, oder ob da noch mehr Wünsche und Sehnsüchte sind, für die es nun endlich Zeit wird, sie zu verwirklichen. Dabei beschwor die Frage nach dem „wie weiter?“ wie ein Dominoeffekt weitere Fragen herauf: Was will ich zukünftig tun? Wovon will ich leben? Wo will ich überhaupt leben? Will ich wirklich so heftig am bisherigen Konstrukt meines Lebens rütteln? Und bin ich auch bereit, mit den möglichen Konsequenzen zu leben?

 

All diese Fragen zuzulassen, fühlte sich in Portugal richtig an. Es war ein guter Platz, mir Fragen zu stellen. Ich konnte es aushalten, nicht gleich Antworten darauf zu finden.

 

In Portugal war ich mir sogar sicher, ich schreibe mein Manuskript fertig, sobald ich zurück bin in Deutschland. Bis zum Ende meiner Auszeit würde ich wissen, wohin die Reise ging. Ob ich den Sprung in die Selbstständigkeit wage. Ob ich mich ganz der Liebe zum Schreiben widme. Ich meinte zu wissen, dass das der Weg ist. Ich sah keinen anderen, auch wenn mir noch nicht ganz klar war, wie ich davon würde leben können. Doch ich hoffte darauf, dass sich weitere Gelegenheiten ergeben und die Puzzleteile sich nach und nach zusammenfügen würden, um mir den Übergang zu erleichtern. Soweit die Theorie. Auf portugiesischem Boden, den Atlantik vor der Nase und die Heimat in weiter Ferne, klang das für mich glaubwürdig und erstaunlich einfach machbar. 

 

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Mit Blick aufs Meer fühlte sich alles klar und einfach an...

 

Blöd nur, dass mir – wieder zu Hause – das Leben dazwischenkommt. Es gibt keinen Pfifferling auf meine Zeitrechnung. Es will sich nicht eintakten lassen in mein Wunschdenken, und in meine Ungeduld schon gar nicht. Es lässt mich nicht durchkommen mit meinem halbgaren Plan. Nichts kommt voran – weder freudvoll noch erfolgreich. Und damit bin ich dazu gezwungen, an einem entscheidenden Punkt innezuhalten, auch wenn ich das erst rückblickend begreife: Kann ich dennoch Freude empfinden, auch wenn sich der Weg kaum als solcher erkennen lässt? Kann ich mein Vertrauen bewahren, dass sich der nächste Schritt zur richtigen Zeit schon zeigen wird?

 

In diesen Tagen und Wochen kann ich es nicht. Ich habe weder die Ruhe noch die Gelassenheit, um zu vertrauen und abzuwarten. Für mein Empfinden dauert das alles viel zu lang. Und ich weiß nicht, ob ich mitleidheischend weinen oder wütend brüllen soll: Nein, so war das nicht gedacht. Es sollte doch ganz einfach sein. Spielerisch leicht. Freudvoll und erfolgreich. Und vor allem jetzt mal irgendwie losgehen!

 

Das kommt mir plötzlich so kindisch vor. Ich bin enttäuscht vom Leben, enttäuscht von mir. Soll ich aufgeben? Soll ich hinschmeißen? Obwohl ich mit meiner Zeit in Portugal doch schon einen so wichtigen Schritt getan habe? War diese Auszeit am Ende nur ein Rausnehmen auf Zeit, um danach wieder ins alte Leben zurückzukehren? Oder war diese Zeit doch der Beginn von etwas Neuem? Und wenn ja, warum habe ich dann keine Klarheit, was dieses Neue ist? 

 

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Neuanfang oder zurück zum Gewohnten? © Christoph Schütz

 

Es macht mich wahnsinnig. Ich will endlich wissen, wie die Geschichte weitergeht. Am liebsten würde ich den Film meines Lebens vorspulen. Wird alles gut? Werde ich doch noch diejenige, die ich mir in meinen portugiesischen Träumen immer wieder vorgestellt habe? Warum ist das nur so schwer, meinen Weg zu finden?

 

Während ich mit mir hadere, verabschiedet sich der Sommer. Mit Nieselregen und Wind hält der Herbst seinen Einzug. Die Aussichten sind trübe. Ich kann nicht fassen, dass die Blätter an den Bäumen beginnen, sich langsam gelb und orange zu färben, während die Blätter meines Manuskripts immer noch unangetastet daliegen. Als hätten sie sich angesichts meiner trägen Unschlüssigkeit nun geduldig eingerichtet auf meiner Kommode. Am liebsten würde ich alle Seiten einmal hoch in die Luft werfen und schreien: Es ist noch nicht zu Ende, die Geschichte geht weiter! Da ist immerhin mein Leben drin!

 

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Auf in die Freiheit - oder freier Fall? © Gino Crescoli

 

In all diesen Tagen werde ich das Gefühl nicht los, meine Zeit zu verschwenden. Und kann doch nichts dagegen tun. Weil ich keinen Plan habe, wie ich diese kostbare Zeit sinnvoll nutze. Was soll ich schreiben, wenn ich nichts weiß?

 

Wieso nur stecke ich plötzlich wieder in diesem Schaffen-Wollen-Modus? Niemand treibt mich an, außer ich selbst. Das jedoch genügt vollkommen, um mir die Ruhe zu rauben. Um stets ein nagendes Gefühl von Ungeduld in mir zu spüren, das die kleinen, feinen Momente vergiftet. Es holt mich aus der Gegenwart und hetzt mich in eine Zukunft, die ich nicht kenne. Von der ich mir aber einbilde, sie ist höchstwahrscheinlich sehr unzufrieden mit mir, weil ich gerade so wenig für sie tue.

 

Wäre ein bisschen mehr Humor oder zumindest Selbstironie in diesen Tagen an meiner Seite, würde ich über dieses ganze Desaster vermutlich einfach nur lachen können. In der Gewissheit, das gibt sich. Aber nicht einmal das gelingt mir.

 

Ich hatte mir das anders vorgestellt. Eine rosige Zukunft zum Greifen nah. Doch stattdessen ist es gerade ziemlich grau in grau - vor den Fenstern und in meinem Kopf.

 

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© SplitShire
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