Der kleine Vogel sitzt auf einer gut vier Meter hohen Palme, nicht weit von mir entfernt. Im sanften Wind dieses heißen Sommernachmittags schwankt er mit ihr leicht hin und her. Unter einem der dichten Palmenwedel hat er sich ein schattiges Plätzchen gesucht. Von da aus hat der Vogel vermutlich eine fantastische Aussicht aufs Meer.

Du hast es gut, denke ich. Du hast deinen Platz gefunden: beste Lage, Blick aufs Meer, Halbschatten, leichtes Lüftchen. Bei mir sieht die Lage anders aus. Ich weiß, dass ich gern in Luz bleiben würde. Allerdings steht gerade in den Sternen, ob dieser Ort auch Platz für mich hat.

Ich bin seit zwei Wochen wieder an der Algarve und weiß, hier in Luz, in diesem kleinen Küstenort, groß genug für Abwechslung, klein genug, um Entspannung und Ruhe zu finden, möchte ich den Rest meiner Auszeit verbringen. Kein Herumreisen mehr, sondern sesshaft werden für die vor mir liegenden vier Wochen. Wissen, wo es den besten Café com Leite gibt, das netteste Gespräch, einen ruhigen Platz am Abend, um endlos lange aufs Meer zu gucken.

Als mir das klar wird, bleiben mir noch vier Tage in meinem jetzigen Apartment. Eine Verlängerung kommt nicht infrage, denn es ist für den Rest des Sommers ausgebucht. Meine Zimmersuche im Internet ist ernüchternd: Nicht nur, dass die Preise in den vergangenen drei Wochen nach oben geschnellt sind, es ist überhaupt nur noch eine überschaubare Zahl an Quartieren in Luz frei. Und die angebotenen Doppelzimmer in „Junior-, Economy- oder Superior-Ausstattung“ interessieren mich allesamt gar nicht – ich habe keine Lust auf eine Urlaubsanlage.

Ich will vielmehr ein kleines Apartment mitten im Ort, gern auch über der Kneipe, von der morgens der Kaffeeduft und abends der Geruch von Gegrilltem zu meinem Balkon hoch weht. Ich brauche eine kleine Küche, um nicht für jedes Essen vor die Tür gehen zu müssen, und ein Bett, das mich abends mit gemütlicher Matratze empfängt. Ich will etwas Schönes, aber nicht um jeden Preis. Drei Tage vorm notwendigen Umzug stehe ich immer noch ohne neue Bleibe da.

Das eigentlich Eindrucksvolle daran ist: Ich bin so entspannt wie der kleine Vogel -dort vor mir. Als hätte ich meinen Platz in der Palme mit Blick aufs Meer schon gefunden. Ich sitze auf meinem Balkon, schaue aufs Meer, höre das Rascheln der Palmenblätter, das Zwitschern, Flirren und Gurren. Um mich herum ein einziges großes Naturkonzert. Ich genieße das Schauspiel und bin mir gleichzeitig sicher, es wird sich das Passende finden, ohne Mühe, ohne Gerenne. Ich sitze hier mit weitem Herzen und offenen Armen, mit allen Sinnen empfangsbereit.

Am nächsten Abend taucht es auf meinem Bildschirm auf: Ein Apartment, keine zweihundert Meter vom Strand entfernt, mit Küche und Balkon, direkt über einer kleinen Kneipe gelegen. Glaube noch einer an Zufälle. Mein kompletter Reisezeitraum ist verfügbar. Bevor ich jedoch auf Buchen klicke, entscheide ich mich, am nächsten Tag lieber direkt vorbeizugehen, um zu sehen, ob sich am Preis noch was drehen lässt. Mein Verstand rauft sich die Haare und lamentiert die ganze Zeit: „Das kann nicht bis morgen warten! Buche, sonst tut es ein anderer. Und dann hast du wieder nichts.“

Ich lasse ihn reden. Am Tag darauf mache ich mich mittags auf den Weg, treffe in der Bar Oliver, den Sohn der Vermieterin, der mir den Kontakt zu seiner Mutter vermittelt. Eine halbe Stunde später habe ich mein Zimmer. Günstiger als online – auch zum Wohlwollen der Vermieterin. Ich liebe es, wenn alle Seiten glücklich sind. 

Am Nachmittag sitze ich wieder auf dem Balkon und frage mich: Wie sieht man sich an einem perfekten Bild satt? Einem, dass in gut zwölf Stunden von der Bildfläche verschwunden sein wird. Jedenfalls von meiner. Dann nämlich werden auf diesem Balkon andere sitzen und aufs Meer schauen. Ich ahne, kein Foto löst dieses Gefühl aus, das ich habe, wenn ich hier sitze und einfach nur schaue und lausche: auf das Meer und den Himmel in seinen unzähligen Blau-, Grau- und Grüntönen, auf das Kreischen und Flügelschwingen der Möwen, auf die grau-weiß gefleckte Katze der Nachbarn, die samtpfotig über die hellroten Dachziegel steigt.

Ich halte Ausschau nach dem kleinen Vogel. Vielleicht schaut er sich auch gerade nach einer neuen Bleibe um? Ein kleiner Tipp für ihn: Neben meinem neuen Zuhause steht ein riesiger Oleanderstrauch. Sieht aus wie ein schöner Platz zum Verweilen. Mich findest du ab morgen auf dem kleinen Balkon in der zweiten Etage.

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