Nach dreieinhalb Monaten ist er da: der Tag meiner Heimreise. Ob er das wirklich ist, bleibt abzuwarten. Die Zeichen am Flughafen von Faro stehen für mich gerade noch auf Rot. Ein Satz der Beamtin am Abfertigungsschalter hatte nicht nur meinen Puls binnen Sekunden in die Höhe schießen, sondern mich auch still fragen lassen, ob ich wirklich so sicher sein kann, dieses Land heute verlassen zu dürfen.
Vielleicht sollte ich meinem Sohn, der mich zu Hause vom Flughafen abholen will, eine kurze Nachricht schicken? Könnte später werden. Wobei „später“ ein dehnbarer Begriff wäre, weil ich noch nicht einmal ahne, wie lange es wohl dauert, bis ich alle notwendigen Dokumente zusammenhabe.
Vielleicht bleibe ich auch für immer in Portugal? Nicht nur, weil mir irgendein Dokument fehlt, sondern weil das Leben längst einen Plan für mich hat? Nur ich weiß noch nichts davon. Ich gehe immer noch ahnungslos davon aus, wieder nach Deutschland zurückzukehren, nach Hause. Davon, meinen Job wieder aufzunehmen, dreißig Stunden, vier Tage-Woche. Ich würde in der einen oder anderen Mittagspause noch von den Tagen meiner Auszeit erzählen. Bis auch diese Geschichten verblassten.
Das war meine Vorstellung - bis eben. Dann jedoch hatte mich ein einziger Satz der Beamtin am Abfertigungsschalter auf den Boden der Tatsachen katapultiert und hinter den heutigen Tag der Abreise, den ich vor Wochen in meinen Kalender eingetragen hatte, ein dickes Fragezeichen gesetzt:
„Ich bräuchte noch den QR-Code ihrer digitalen Einreiseanmeldung“, fordert mich die freundliche Flughafenangestellte in bestem Englisch auf. Hab ich nicht, hätte ich schon beim Wort QR-Code sagen können. Ich weiß, wie ein QR-Code aussieht und bin mir absolut sicher, nichts dergleichen vorweisen zu können, weder auf meinem Handy noch auf meinem Laptop, und auf Papier schon gar nicht. Kurz überlege ich, wo ich so einen Code eben noch schnell besorgen könnte. Gab es so was im Flughafen-Café? Oder im Duty Free Shop? Zu letzterem hätte ich allerdings nicht einmal Zutritt, weil ich erst gar nicht am Abfertigungsschalter vorbeikommen würde.
Dabei hatte ich mich gut vorbereitet gefühlt an diesem frühen Sonntagmorgen, als ich mich kurz nach vier Uhr, unausgeschlafen und trotzdem gutgelaunt, aus meinem Hotel auf den Weg zum Flughafen gemacht hatte. Ich war mir sicher, alle Dokumente vollständig zu haben. Und außerdem sicher, dass es bestimmt leichter war, aus diesem Land auszureisen als hinein. Ich machte schließlich Platz für alle, die reinwollten. Man würde mir die Ausreise also nicht unnötig erschweren, oder?
Ich hatte mich ein bisschen gewundert, dass in der Abfertigungsschlange jeder der Reisenden vor mir irgendein Problem zu haben schien. Entweder sie kramten mit hochrotem Kopf in ihren Taschen, oder sie wischten mit angespannter Miene über ihre Handys. Und ein paar von ihnen zogen sogar nach wenigen Minuten ihr Gepäckstück wieder vom Band, als müssten sie noch einmal neu Anlauf nehmen, um vor den Augen der Flughafenbeamtin Gnade zu finden.
Ich hingegen wähnte mich in stillem Größenwahn in Sicherheit, mit zwei, drei Handgriffen alle Dokumente vorzeigen zu können. Ich war schließlich schon mehr als einhundert Tage unterwegs und wusste, wie man reist. Die Beamtin würde mir dankbar zulächeln, weil es doch noch Reisende gab, die einfach mal vorbereitet vor sie traten. Im Nachhinein kann ich mir meine Arroganz eigentlich nur mit meinem extremen Schlafmangel erklären, angesichts der frühen Stunde.
Die Flughafenbeamtin lächelt. Vielleicht steht mir mein innerer Monolog auf der Stirn geschrieben? Vielleicht überlegt sie auch, mich nach ihrem Dienst auf einen Café com Leite einzuladen und mit mir auf die Verlängerung meiner Auszeit anzustoßen. Eine Verlängerung, der zwar mein Arbeitgeber nicht zugestimmt hatte, die aber von keiner Geringeren als der portugiesischen Regierung bewilligt wurde, indem sie mich schlicht und ergreifend nicht aus dem Land ließ. Manchmal konnte das Leben schon einfach sein. Wenn auch anders als gedacht.
Ich überlege gerade, wohin und vor allem wann ich meine Familie und Freunde nach Portugal einladen konnte, denn natürlich habe ich Sehnsucht nach ihnen. Aber dafür würde die Schalterbeamtin vermutlich auch eine Lösung haben, vielleicht sogar Kontakte zu günstigen Flügen mit TAP Air, der portugiesischen Fluggesellschaft, für die sie arbeitet? Die Beamtin lächelt immer noch. Nicht nur um die Mundwinkel, auch mit den Augen.
Dann wird ihr Blick eindringlich, als sie sagt: „Ohne eine Bestätigung ihrer digitalen Einreiseanmeldung kann ich Sie nicht ausreisen lassen.“ Vermutet sie, dass mir die Konsequenzen meines fehlenden QR-Codes noch nicht ganz klar sind? Es könnte schlimmer kommen, liegt mir auf der Zunge. Obwohl ich schon auch nach Hause will. Jedenfalls ein Teil von mir. Ganz einig scheinen sich Körper, Geist und Seele noch nicht zu sein.
„Haben Sie nicht ein PDF oder eine Bestätigung per Mail bekommen?“, holt mich ihre Stimme zurück an den Schalter. Tatsächlich hatte ich mir irgendein PDF abgespeichert, einer stillen Eingebung folgend, dass die reine Bestätigung, das Dokument sei erfolgreich versendet, vielleicht nicht genügen könnte. Das, so fällt mir jetzt ein, befindet sich tatsächlich auf meinem Laptop. Und so gehöre auch ich einen Augenblick später zur Gruppe derer, die in ihrer Tasche kramt. Ich hole meinen Laptop heraus, der glücklicherweise sofort einsatzbereit ist und gerade kein Update braucht, und finde binnen weniger Klicks das Gesuchte. Es findet auch Gnade vor den Augen der Beamtin. Der Rest ist ein Kinderspiel.
So, wie es aussieht, darf ich also doch nach Hause fliegen. Vorerst also keine Nachricht an meinen Großen. Vielleicht kriegt der Tag doch noch die Kurve hin zu einer Rückreise, die zu meiner Auszeit passt: entspannt, freudvoll, gelassen. Alles andere wäre eigentlich daneben.
Mein nächster Halt heißt Lissabon. Ich habe zwei Stunden Aufenthalt. Genug Zeit, um mir einen Café com Leite zu gönnen, den vorerst letzten in meinem Lieblingsland. Und dann kaufe ich in der Flughafen-Bäckerei, einer spontanen Eingebung folgend, noch eine große Packung frischer Pasteis de Natas.
Der Flug ist entspannt, der Flieger nicht einmal halb ausgebucht. So viel Raum ich auf meinem Hinflug nach Portugal habe, gibt es auch auf der Heimreise. Vielleicht, weil all meine Gefühle und Gedanken einen eigenen Sitzplatz brauchen? Meine Auszeit ist vorbei. Ich bin tatsächlich auf dem Weg nach Hause. Und da ist vor allem Vorfreude in mir – auf meine Familie, auf meine Freunde, Nachbarn, Kollegen. Und es ist dieser eine vorherrschende Gedanke: Ich habe es tatsächlich gemacht. Ich war allein unterwegs, einhundertneun Tage lang.
Ich würde über diese Auszeit noch oft nachdenken, zurückdenken, erzählen. Jetzt aber ist nach Hause kommen alles, worum sich meine Gedanken drehen. Es fühlt sich gut an, warm in meinem Bauch und im Herzen.
Ich muss an das Lied denken, dass ich hörte, kurz bevor mein Großer damals nach sechs Monaten aus Australien zurückkam: „Ankunftshalle“ von Kettcar. Ich krame mein Handy und die Kopfhörer aus meiner Tasche, und während ich durch das Fenster auf die Wolkenformationen vor mir schaue, höre ich die vertrauten Zeilen:
„Wie die Starken, die Schwachen, die Müden, die Wachen, die Jungen, die Alten…
Wie die, die viel zu lang weg waren, die letzten Schritte und dann umarmen…“
Lust reinzuhören?
Hier geht's zum Song "Ankunftshalle Flughafen" von Kettcar - zum Heulen schön!!!
Ich bin alles auf einmal, stark und schwach, müde und wach. Und in Gedanken umarme ich meinen Großen schon. Bis sich die Glastüren des Ankunftsterminals einige Stunden später tatsächlich vor mir öffnen. Und da steht er – und ich umarme ihn endlich, endlich wieder.
Mein Herz hämmert in der Brust und flüstert still „Danke“. Wir fahren nach Hause – und im Garten stehen sie bereit, mich zu begrüßen: Familie, Freunde, Nachbarn. Wir trinken Gin Tonic, der mir an diesem warmen Sommertag direkt in den Kopf steigt und die Sehnsucht, das Heimweh und das Fernweh in weiches, warmes Licht taucht. Wir essen die Pasteis de Natas, und es tut gut, den Geschmack dieser Auszeit mit meinen Lieben zu teilen.
Wie geht's weiter mit diesem Blog?
Nach dreieinhalb Monaten bin ich wieder zu Hause, zurück aus meiner Auszeit. Doch keine Sorge, der Blog ist damit noch nicht zu Ende. Denn nach der Vorbereitung, dem Aufmachen und dem Unterwegs-sein gehört auch das nach-Hause-kommen, das Ankommen im Alltag mit zu dieser besonderen Zeit, und auch diese Erfahrungen möchte ich gern mit euch teilen.
Bleibt also gespannt und freut euch auf neue Kapitel - in 14 Tagen geht's hier weiter!
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