Was für ein Kontrastprogramm: Nach Fuseta, wo ich mich ein bisschen wie im Schweigekloster gefühlt habe, kenne ich plötzlich in Tavira nach nicht einmal vierundzwanzig Stunden bereits eine Handvoll Leute.
Da ist zum einen Gundula aus Berlin, die ich bei meinem ersten abendlichen Besuch auf der Gemeinschaftsdachterrasse treffe. Da ist Elias aus Schweden, mit dem ich bei meinem ersten Bummel durch die Stadt ins Gespräch komme. Und da sind Katja und James, die Inhaber der kleinen Bar am Fluss, in die mich Elias auf einen kühlen Rosé und einen kräftigen Espresso einlädt.
Am zweiten Abend sitze ich in der kleinen Pizzeria schräg unter meiner Wohnung. Ich brauche dafür nur die dunkel marmorierten Stufen im Hausflur hinunterzulaufen. Elias arbeitet hier, und ich gehöre binnen kurzer Zeit ebenfalls zur bunten Familie von Kellnern und Köchen, die aus allen Teilen der Welt kommen. So, wie sie Elias vor gut sieben Monaten Tür und Herz geöffnet haben, öffnen sie beides auch mir. Dass ich mit Elias befreundet bin, ist für sie Grund genug. Der köstliche portugiesische Rotwein, den ich zur Pizza bestelle, geht wie selbstverständlich aufs Haus.
Nur einen Tag später lerne ich Birgit kennen. Sie wohnt in der kleinen Wohnung nebenan, unsere beiden Terrassen sind nur durch eine kleine, gemauerte Wand voneinander getrennt. Es ist ein sonniger Morgen, als ich Birgit das erste Mal treffe. Der Tag verspricht warm zu werden und trocken zu bleiben, ganz gleich, was die Wetter-App glauben machen will. Ich nehme die steile Treppe zur Dachterrasse, um mir einen Tee zu kochen. In meinem Apartment gibt es keine Küche, dafür kann ich auf der Dachterrasse den winzigen Zwei-Platten-Herd, einen Wasserkocher und ein paar versprengte Geschirrteile gemeinsam mit den anderen Nachbarn nutzen.
Während das Wasser munter vor sich hin blubbert, laufe ich bis zur vorderen Brüstung der Terrasse. Der Blick von hier oben ist sensationell, wieder einmal. Es ist mein drittes Quartier, und auch dieses mit Ausblick.
Dachterrassen gibt es an der Algarve scheinbar wie Sand am Meer. Jede noch so kleine Bleibe hat diesen Luxus zu bieten. Von der eigenen Terrasse wird auch der Blick über die vielen anderen Terrassen frei. Sie sind selten schick hergerichtet. In Deutschland würde man diese Flächen vermutlich mit Loungemöbeln, Gasgrill und vier mal vier Meter großen Terrassenschirmen dekorieren, die winterharten Sträucher dazwischen sauber aufgereiht. Die Portugiesen scheint das alles nicht zu interessieren. Oft wird eher die Wäsche aufgespannt als der Sonnenschirm. Auch Sofalandschaften sucht man meist vergeblich, dafür verteilen sich nicht selten unzählige weiße Plastikstühle um einen großen Tisch. So einfach und doch so einladend.
Das Teewasser hat gekocht, die volle Kanne in der einen Hand, eine Tasse in der anderen, steige ich langsam die steile Treppe wieder hinunter. Auf halber Höhe höre ich vertraute Laute: deutsch. Neugierig gucke ich hinüber auf die andere Terrassenseite. Gedeckter Tisch, eine große Tasse Kaffee, sogar eine kleine Vase mit Blumen. Eine dunkelhaarige Frau, schätzungsweise in meinem Alter, sitzt mit Sonnenbrille, kurzem Shirt und Rock am Tisch, die braunen Beine auf einen zweiten Stuhl ausgestreckt.
Sie legt gerade das Handy zur Seite, vermutlich hat sie telefoniert. Als sie mich entdeckt, ruft sie ein „Olá“ herüber. Ich lächle und grüße zurück. Der Höflichkeit halber beginne ich meinen ersten Satz auf Englisch, doch schnell ist klar, wir können in das für uns beide vertraute Deutsch wechseln.
Wir reden und reden und reden. Alles ergibt sich wie von selbst. Als würden wir uns schon ewig kennen. Als wären wir uns nicht eben erst über das Mäuerchen hinweg zum ersten Mal begegnet. Ich bin mir sicher, wir hätten schon diesen Morgen beim gemeinsamen Frühstück verbracht, doch wir bekommen die schmale, dunkelgrüne Holztür nicht auf, die sich in der Mauer zwischen unseren beiden Terrassen befindet. So bleibt Birgit an ihrem Tisch und ich auf meiner Treppe sitzen. Die Sonne steigt höher und höher. Irgendwann schenke ich mir eine Tasse Tee ein. Keine von uns hat es eilig, das Gespräch zu beenden.
Birgit ist erst am Abend zuvor angereist. Als sie meinen Geschichten lauscht über die Cafés und Kneipen im Ort und die Leute, die ich kenne, fragt sie mich, wie viele Wochen ich denn schon in Tavira sei. „Drei Tage“, antworte ich leichthin. Und weiß im selben Moment, dass das fast ein bisschen unwirklich klingt. Ich habe in diesen zweiundsiebzig Stunden schon so viel erlebt, gesehen, verschiedene Menschen kennengelernt und wiedergetroffen, dass es auch mir eher wie Wochen statt Tage vorkommt.
Nach eineinhalb Stunden machen wir fürs Erste eine Pause mit unserer Unterhaltung, denn mittlerweile wird die Treppe, auf der ich sitze, direkt von der Sonne beschienen. Zeit, den Schatten aufzusuchen, will ich mir nicht für den Rest des Tages einen Sonnenstich holen.
Birgit und ich verabreden uns für den Abend zum gemeinsamen Essen. Bei Katja und James zum selbstgemachten Thai-Curry. Die kleine Bar liegt auf der anderen Seite des Flusses, direkt am Wasser. Am Abend machen wir mit unserem Gespräch da weiter, wo wir am Vormittag aufgehört haben. Es würde nicht das letzte Mal bleiben.
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