KAPITEL 8: Fremdes Land, aber welches?

 

Un cappuccino per favore, formen meine Lippen lautlos. Soviel zum Thema, ich weiß noch nicht, wohin ich will. Vielleicht hat sich mein Herz ja längst entschieden? Ganz ohne mich zu fragen. Ohne sich dafür zu interessieren, ob ich da jemanden kenne, einen, der mir das Ankommen erleichtern könnte. Für solche Banalitäten interessiert es sich schlichtweg nicht. Es entscheidet rein nach Gefühl. Nicht nach Vorteil. Italien also!

 

Alleine los Blog Kapitel 8 Bella Italia
© Michelle Raponi

 

Womöglich ist es auch mein Herz mit seiner kleinen Sehnsucht nach Bella Italia, das mich an diesem Sommermorgen in genau dieses kleine Café in meiner Heimatstadt lockt. Mit seinen fröhlich rot-weiß gestreiften Markisen vor den großen Fenstern, unter die ich mich gern zurückziehe, bin ich abgeschirmt von der kräftigen Sonne und dem eiligen Treiben auf der Straße.

 

Ich strecke meine Beine aus unter dem abgewetzten Holz der niedrigen Tischplatte und lehne mich zurück. Vor mir steht der erste Kaffee des Tages, ein Café Lungo, ein mit etwas Wasser verlängerter Espresso. Dem sonst stets freundlichen Barista würde im südlichen Italien vermutlich ungebremst das sonnengebräunte Gesicht entgleiten, wenn ich ihn in meinem gebrochenen Italienisch bitten würde, seinen wunderbaren Espresso mit Wasser zu strecken. „Incredibile!“

 

Alleine los Blog Kapitel 8 Café Sommer

 

Italien. Ich liebe die Bilder, die vor meinem geistigen Auge auftauchen. Mit zwanzig bin ich das erste Mal dort. Mit einer Freundin, mit der ich während des Studiums jedes Jahr im Sommer für ein paar Tage eine europäische Stadt bereise. In jenem Jahr ist es Rom für zehn Tage. Ausgestattet mit einem Reiseführer und jeder Menge Tipps von Freunden im Gepäck, was wir uns unbedingt ansehen sollen, machen wir uns auf den Weg. Das eine oder andere haken wir ab. Die meiste Zeit aber schlendern wir durch die engen Gassen, sitzen oft stundenlang in Cafés und saugen das italienische Dolce Vita in uns auf. Wir können uns daran nicht sattsehen.

 

Dann treffen wir Nino. Italiener, Römer, nur wenige Jahre älter als wir. Er zeigt uns seine Stadt. Und die hat wenig mit dem touristischen Sucher der Kamera zu tun. An einem unserer letzten Abende laufen wir zur „Fontana di Trevi“, dem Trevibrunnen. Ich werfe eine Münze über meine Schulter, hinein in das hellblaue Wasser. Im Reiseführer habe ich gelesen, es bedeute, man kehre zurück nach Rom. Und ich will so unbedingt wiederkommen in diese schöne, laute, pulsierende Stadt. 

 

 

Und tatsächlich: Fast fünfundzwanzig Jahre später bin ich wieder da – mit meinem Sohn, der fast genauso alt ist wie ich damals. Seither bin ich noch dreimal in Italien gewesen. Ich mag das Land, die Sanftheit des Südens, das trubelige und doch entspannte Lebensgefühl, die Liebe zum Essen. Stundenlang in Restaurants, Bistros oder Cafés sitzen, reden und essen – als wäre es das Einzige, warum wir auf diesem Planeten sind. Nichts als Genuss im Gaumen.

 

Die Summe aus vielen kleinen italienischen Puzzleteilen lässt mich innerlich ruhig werden. Als gäbe es keine Alternative, nur ein bedingungsloses „Si“ zum Leben.

 

Trevi Brunnen Rom Münze werfen
2017 bin ich zurück in Rom - wie die Münze es 25 Jahre zuvor versprochen hatte...

 

Ich spreche gerade mal zehn Worte italienisch. Mir fällt ein, wie ich im letzten Jahr an einem verregneten Novemberabend mit dem Auto vom Büro nach Hause fuhr und die ganze Zeit auf Italienisch mit mir selbst sprach. Also zumindest das, was für mich nach Italienisch klang. Mit einem breiten Lächeln auf den Lippen genoss ich es, den Tönen der erfundenen Worte nachzuhören. Es fühlte sich seltsam vertraut an. Sollte ich wirklich nach Italien reisen, bräuchten meine Sprachkenntnisse auf jeden Fall deutlich mehr Bezug zur Realität.

 

Bin ich damit schon zu fixiert auf ein Land? Stehe ich mir so nicht selbst im Weg für das, was sich vielleicht noch ergeben will? Mag sein. Und doch fühlt es sich gut an, eine Vorstellung zu haben, wohin meine Reise gehen könnte.

 

Alleine los Blog - Kapitel 8 Cappuccino
© JayMantri

 

Die frühe Nachmittagssonne scheint erneut warm und golden zwischen den Häuserzeilen hervor. Ich sitze noch immer in diesem kleinen Café mit der rot-weißen Markise, jetzt ist es tatsächlich Zeit für einen Cappuccino. Den halben Tag habe ich mich im Geiste nur mit meinem geheimen Auszeit-Projekt beschäftigt. Ich frage mich, was ich heute eigentlich erledigen wollte. Ich kann mich beim besten Willen nicht daran erinnern. Es hat irgendwo auf dem Weg hierher seine Bedeutung verloren.  

 

Katze neugierig auf dem Tisch
Auch schon neugierig, wie es weitergeht? © Uwe Driesel

Auszug aus dem neunten Kapitel

 

Warme Tränen rollen lautlos über meine Wangen, tropfen auf das Kissen unter meinem Kopf. Ich drehe mich zur Seite und schluchze leise in den rauen Stoff der blau-weiß gestreiften Bettwäsche. Der erste Abend im Schullandheim und in meiner Brust wummert das Heimweh. Wieder einmal.

 

Und nun will ich ernsthaft drei Monate an einen mir noch unbekannten Ort? Länger, als ich je irgendwo anders war? Bin ich mir sicher, dass ich das wirklich will? Ausgerechnet ich, die schon seit frühester Kindheit weiß, wie schmerzhaft Heimweh ist? Die in kein Ferienlager wollte, nicht bei Verwandten blieb und die jede verdammte erste Nacht im Schullandheim lautlos in die Kissen weinte? Bin ich mir sicher, dass ich weiß, was ich da vorhabe?

 

...

 

Nächste Woche geht's weiter!

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