KAPITEL 10: Das Land der Wünsche

 

Italien ist Geschichte. Denn mein Herz hat still und leise eine neue Tür aufgemacht. Einen Türspalt zu einer alten Sehnsucht, die ich fast vergessen hatte: ein Leben in Portugal.

 

Dieses kleine Land am westlichen Zipfel Europas war das erste Land, in das ich mir vorstellen konnte auszuwandern. Das ist jetzt dreißig Jahre her. Es ist bis heute auch das einzige Land geblieben. Und ich wusste schon damals, in welcher Stadt ich am liebsten wohnen wollte: Lissabon. 

 

Lissabon Tejo Portugal

 

Ich besuche Lissabon zum ersten Mal während meiner Studienzeit. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Ich mag das Helle, das Strahlen dieser Stadt am Tejo, die verwitterten Fassaden, die Schönheit, die sich nicht mit Hipp- und Schicksein-Wollen anbiedert. Hier gibt es nichts Glattes, keinen Glanz im klassischen Sinne. Stattdessen bröckelt der Putz von den Wänden, die Gassen sind teilweise so schmal, dass ich die Häuserwände links und rechts gleichzeitig mit meinen Händen berühren kann. Wäscheleinen spannen sich von Fenster zu Fenster über die Straßen. Die blassgelben Bahnen rumpeln die Hügel hinauf und hinunter, dicht vorbei an den eng aneinander lehnenden Häusern. Die fremden Laute der Sprache berühren mich, obwohl ich kaum ein Wort verstehe. Als würden sie mich an etwas erinnern, aber ich komme nicht darauf, woran.

 

 

Lissabon Tejo Portugal

 

Lissabon schmeckt nach Meer und Seefahrerabenteuer, seine süßen Pasteis de Nata machen süchtig. Mit José und Jaura, Freunde, die ich aus Deutschland kenne und die in Lissabon leben, sitze ich in einfachen Restaurants, um die Touristen gern einen Bogen machen. Hier surren die nackten Neonröhren von der Decke, dafür wärmen mir Essen und Gespräche Magen und Seele. Die Stadt schleicht sich ungefragt und mühelos in mein Herz.

 

 

Über Jahre hinweg komme ich wieder und wieder hierher, auch als ich schwanger bin. Oder vielleicht gerade deshalb. In jenen Tagen im Mai bin ich bereits im fünften Monat und wünsche mir, dass sich das Gefühl, das ich in dieser Stadt spüre, auch auf das Baby überträgt. „Bebé“, sagen meine Freunde mit Blick auf meinen sich sanft wölbenden Bauch, ihre Stimme ist ein liebevolles Flüstern. Ich liebe den Klang des Wortes für meinen noch ungeborenen Sohn. Als das „Bebé“ da ist, tritt Lissabon in den Hintergrund. Unvergessen, ja. Aber erst einmal ist es nicht die Zeit für Reisen. Lissabon, Portugal bleiben in meinem Herzen. Manchmal erzähle ich Freunden davon, wie sich das damals angefühlt hat, diese Stadt, dieses Land und diese Lust aufs Bleiben-wollen.

 

Sechzehn Jahre später komme ich tatsächlich zurück, mit meinem fast erwachsenen Sohn. Im Schlepptau jede Menge Erwartungen, die ganz sicher nicht ins Handgepäck passen. Rückblickend weiß ich: Sie können eigentlich nur enttäuscht werden. Ich wünsche mir so unbedingt, dass mein Sohn diese Stadt liebt. Mit mir erkundet, was sich mir damals im Herzen eingenistet hat. Doch Liebe lässt sich nicht einfach übertragen. Und ich bin nicht gelassen genug, darauf zu vertrauen, dass das „Bebé“ womöglich seinen ganz eigenen Weg findet, diese Stadt, dieses Land in sein Herz zu schließen, auf seine Weise und zu seiner Zeit.

 

Alleine los Blog Kapitel 10 - Lissabon Portugal

 

Also hadere ich in diesen Tagen mit meiner alten Liebe. Es ist lange her, dass ich hier war. Ich habe mich verändert – sie ebenso. An manchen Stellen erkenne ich Lissabon kaum wieder. Ich bin schockiert von den Touristenströmen, die sich durch die Gassen schieben, am Tejo sitzen und mir überall eine Spur zu laut sind. Ich spüre tief in mir drin, dass mich mit Lissabon immer noch etwas Besonderes verbindet. Aber äußerlich verweigert sich mir die Stadt. Als würde sie spüren, dass ich nur Vergangenem nachhänge und gar nicht sehen kann oder will, wie sie jetzt ist. Wie auch sie sich entwickelt hat. Als wir abreisen, nehme ich meine alte Sehnsucht wieder mit im Gepäck zurück. Ungestillt. 

 

Alleine los Blog Kapitel 10 - Lissabon Portugal Aussicht

 

Wie hatte ich das vergessen können? Oder war es nur sicher in mir verwahrt, bereit, zur richtigen Zeit aus den Tiefen meines Bewusstseins aufzusteigen? Mitten in meine Planungen hinein, in denen Italien zwar als Reiseziel charmant anklopft, nur damit ich wenige Wochen später plötzlich Gewissheit habe, wohin die Reise wirklich gehen soll? Einen Moment lang erlaube ich mir noch zu zweifeln. Ich will Italien nicht einfach so ziehen lassen, ich will ihm nicht unrecht tun, schließlich hat sich das Land ja eine Weile gut angefühlt als mögliches Ziel.

 

Landkarte Europa

 

Dann kommt mir der Zufall zu Hilfe: Seit Tagen recherchiere ich im Internet nach Sprachkursen an der Volkshochschule. Italienisch und Portugiesisch sind beide im Angebot. Die Kurse beginnen in wenigen Wochen. Ich muss mich festlegen. und damit auch die Entscheidung für ein Land besiegeln. Immer noch unsicher klicke ich zunächst auf den Italienisch-Kurs und stelle fest: Er ist voll. Für Portugiesisch hingegen sind noch wenige Plätze frei. Und so wähle ich den Button „Olá Portugal“ und buche den Kurs. Es fühlt sich ganz und gar nicht nach zweiter Wahl an – jetzt habe ich wirklich Gewissheit in Herz und Hirn!

 

 

Katze auf der Zeitung auf dem Tisch liegend
Auch schon neugierig, wie es weitergeht? © Uwe Driesel

Auszug aus dem elften Kapitel

 

Ich könnte platzen. So viele Sätze sind in mir, die raus wollen. Ich bin so angefüllt von meiner Idee, dass ich manchmal sicher bin, ich muss jetzt und sofort der ganzen Welt davon erzählen. Als könnte ich nicht mehr an mich halten. Es ist einfach zu viel Begeisterung in mir, die versucht, sich auf Kleidergröße achtunddreißig zu verteilen. Manchmal weiß ich kaum, wohin mit meinem Leuchten und Kribbeln.

 

Ich würde es so gern mit allen teilen. Einfach alles rauslassen, was da an großartigen Plänen in mir ist. Erzählen und sehen, was es mit meinem Gegenüber macht – und diese Reaktion dann auch wieder mit mir. Und natürlich wünsche ich mir, dass meine Begeisterung überspringt. Dass ich mich nicht erklären oder gar rechtfertigen muss. Da sind so viele Momente, in denen mir die Geschichte auf der Zunge liegt. Doch im gleichen Moment weiß ich, es ist noch nicht soweit. 

 

...

 

Nächsten Freitag geht's weiter!

 

 

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