Kapitel 19: Zwischen Eintakten und Entspannen

 

Seit Wochen fühlt sich mein Leben an wie ein Pendel: zwischen Eile und Ruhe, zwischen „Ich muss noch“ und „Wird schon“. Manchmal verbeiße ich mich, ohne es zu bemerken, im Schnell-noch-erledigen-Modus, weil ich hinter so viele Dinge endlich einen Haken setzen will.

 

An anderen Tagen rauscht das Vertrauen durch meine Adern, das mir das Gefühl vermittelt, auf dem richtigen Weg zu sein, im stets richtigen Tempo. 

 

Es sind noch vier Wochen bis zum Start. Wobei es bislang nur den Termin für meinen ersten Urlaubstag und ein ungefähres Datum gibt, an dem ich los möchte. Ich habe noch nichts gebucht. Auch so ein Punkt, hinter dem noch der Haken fehlt.

 

Auszeit Ü50 - Alleine los Blog to do
To do Listen oder Vertrauen? Beides!

 

Anfang der Woche fragt mich ein Kollege, ob ich eigentlich direkt von Dresden aus fliege. Ich zucke mit den Schultern und sage leichthin: „Mal sehen. Ich habe noch gar keinen Flug gebucht.“ Überrascht sieht er mich an, wahrscheinlich glaubt er, ich mache einen Scherz. Dann schüttelt er nachdenklich den Kopf und meint: „Ach, noch nicht?! Und wo genau willst Du hin?“ Ich mustere ihn kurz, jetzt unsicher, ob er bereit ist für meine nächste Antwort: „Ursprünglich in den Norden von Portugal. Aber jetzt starte ich vermutlich doch im Süden.“ Perplex mustert er mich. Ich kann seinen Gedanken beim Rotieren zuhören: Sie nimmt für dreieinhalb Monate eine Auszeit und hat vier Wochen vorher noch keinen Flug gebucht und ebenso wenig eine Unterkunft, weil sie noch nicht genau weiß, wohin sie eigentlich will??? Höchstwahrscheinlich denkt er jetzt endgültig, ich nehme ihn auf den Arm.

 

Als er merkt, dass es mir Ernst ist, schüttelt er noch einmal den Kopf: „Also, für mich wäre das nichts, so kurzfristig, so spontan.“ Ich könnte antworten: Für mich wäre das auch nichts. Doch das stimmt so nicht mehr ganz. Denn ich stelle immer noch staunend fest: In den vergangenen Monaten der Vorbereitungen auf meine Auszeit ist aus der planungsfreudigen, sicherheitsbetonten Brit, die ungern etwas dem Zufall überlässt, eine so grund-chillige Aussteiger-Brit geworden, dass ich mich selbst kaum wiedererkenne.

 

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© Syaibatul Hamdi

 

Was ist passiert? Liegt es an der besonderen Situation der Pandemie? Als ich beginne, meine Auszeit konkret zu planen, sind es gut sieben Monate bis zum Starttermin. Bis dahin ist Corona Geschichte, bin ich mir sicher. Drei Monate später jedoch befindet sich nicht nur Deutschland in der dritten Welle inklusive Lockdown. Es ist ein Herumtappen von Ungewissheit zu Ungewissheit. Immer mal wieder wagen Politiker, Ärzte oder Virologen den Versuch einer Prognose, doch je länger die Pandemie dauert, desto klarer wird: Keiner weiß wirklich, was kommt. Und so werden aus Prognosen mehr und mehr Durchhalteparolen. Ich beginne zu ahnen, dass Corona im nächsten Frühjahr nicht Geschichte ist, sondern Teil meiner Geschichte werden könnte.

 

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© Myriams-Fotos

 

Längerfristige Planungen in Zeiten einer Pandemie ergeben keinen Sinn, so viel ist mir in den zurückliegenden Wochen klargeworden. Wie also soll ich für das kommende Frühjahr planen und mich festlegen, wenn ich im Herbst davor nicht einmal weiß, was im Winter sein wird? Die Lage ändert sich häufig schneller, als ich die aktuellen Regeln und Bestimmungen zu Ende lesen, geschweige denn mir merken kann. Jedes Land trifft fast im Wochenrhythmus neue Entscheidungen. Nichts scheint so alt und überholt wie die beschlossenen Maßnahmen von gestern.

 

„Auf Sicht fahren“ ist das neue Planen. Ich brauche keine Angst zu haben, nicht vorbereitet zu sein, weil man sich nicht vorbereiten kann. Und wenn, dann im Höchstfall mit einer Vorlaufzeit von achtundvierzig Stunden. Wohlwollend betrachtet. In diesem Zeitfenster scheint relativ sicher, welche Länder gerade eine Einreise gestatten, welche Tests benötigt werden und welche Bestimmungen darüber hinaus gelten. So gesehen habe ich alle Zeit der Welt. Ich will erst in vier Wochen reisen. Ich bin kurz davor auszurechnen, wie viele Stunden das eigentlich sind.

 

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Ich könnte stundenlang recherchieren und stelle fest: Weniger ist mehr! © Sumanley xulx

 

Um ehrlich zu sein, bin ich mittlerweile eher beruhigt, mich nicht so lange im Voraus festlegen zu müssen. Was mich früher schier wahnsinnig gemacht hätte, gefällt mir heute: Alles ist offen – und damit auch alles irgendwie noch möglich.

Was würden mir gebuchte Flüge und Quartiere nutzen, wenn die Inzidenzwerte erneut nach oben schnellen? Die Buchungen wären nicht nur null und nichtig, ich müsste auch noch darum bangen, mein bereits gezahltes Geld wiederzubekommen.

 

Also warte ich ab. Immer noch ist die Lage in Portugal unklar. Die Fall-Zahlen sinken, das ist die gute Nachricht. Damit könnten die von der portugiesischen Regierung in Aussicht gestellten Lockerungen tatsächlich ab Ende März greifen. Für das Land soll ab diesem Zeitpunkt ein ganzer Katalog an Maßnahmen gelten, was ab wann wieder öffnen darf. Eine Einreise nach Portugal aus touristischen Gründen soll bereits in wenigen Tagen wieder möglich sein. Ich will abwarten, ob es dabei bleibt.

 

Auszeit Ü50 Tafel What's next
What's next? Die Frage stelle und beantworte ich mir immer kurzfristiger. Besser so! © Gert Altmann

 

Genaugenommen habe ich nichts zu verlieren. Sieht man mal von der Möglichkeit ab, dass sich binnen der nächsten zwei Wochen die Lage komplett verschlechtern könnte, eine Einreise damit weiterhin verboten bliebe und damit der Traum von Portugal für meine Auszeit endgültig platzen würde. Dann bräuchte ich tatsächlich eine Idee für ein anderes Land, eine App für eine vermutlich andere Sprache und möglichst schnell einen Flug samt Quartier. 

 

Dennoch: Ich verbeiße mich nicht in diesem Gedankenkarussell. Dafür ist die Auszeit-Idee trotz allem Corona-Hick-Hack zu geschmeidig auf dem Weg. Ich bin nach wie vor flexibel in alle Richtungen, auch wenn der Pfeil meiner Reise immer noch auf Portugal zielt. An welchem Wochentag ich fliegen würde, und ob ich zuerst in den Süden oder doch weiter nördlich nach Lissabon oder Porto reise, kann ich den aktuellen Umständen anpassen.

 

Also lasse ich den Laptop an diesem Abend in der Ecke, nehme mir mein Handy und öffne die App, um ein bisschen Portugiesisch zu üben. Wenn es gut läuft, bleibt es bei meinem Wunschland und damit auch bei der Sprache meiner Wahl.  

 

Katze neugierig am Fenster
Auch schon neugierig, wie es weitergeht? © pixaline

Auszug aus dem 20. Kapitel

 

In genau drei Wochen beginnt meine freie Zeit. Seit gestern nun ist es endlich amtlich: Meiner Einreise nach Portugal steht nichts mehr im Weg, denn für Touristen ist das Land wieder offen. Soeben habe ich binnen einer Stunde alles Notwendige gebucht: einen erstaunlich günstigen Flug nach Faro und ein Quartier für die ersten sieben Nächte in Praia de Faro, keine dreißig Meter vom Strand entfernt. Die Vorfreude kitzelt mir ein Lächeln ins Gesicht, als ich mir im Internet Fotos der langgezogenen Lagune vor den Toren Faros anschaue. Mitte März klettern hier die Temperaturen gerne schon auf zwanzig Grad. Ein Einstieg ganz nach meinem Geschmack in meine freie Zeit: Sonne, Meer und die Füße im Sand.

 

Mit fällt kein Stein vom Herzen, weil ich jetzt endlich gebucht habe. Ganz einfach, weil mir kein Stein auf dem Herzen lag. Vielmehr fühlt es sich ruhig und unaufgeregt an. Es ist exakt der richtige Zeitpunkt. Das Abwarten hat sich gelohnt. Was ich jetzt ausgewählt habe, fühlt sich für mich passend an. Obwohl es doch so ganz anders ist, als ich es vor einem halben Jahr geplant hatte.

 

...

 

Wie mein Plan vor einem halben Jahr aussah?

 

Nächsten Freitag lest ihr das komplette Kapitel!

 

Bis dahin - schön NEUGIERIG bleiben!

 

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